Was ist los im Himmel?

Datum: Mittwoch, 30. Oktober 2013 21:44

„Trösten kann nur die Wahrheit“

InterviewDiplom-Sozialpädagogin Anja Gehrke-Huy arbeitet seit 2009 als Trauerbegleiterin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Cottbus und im Landkreis Spree-Neiße.

Frau Gehrke-Huy, wie wird man eigentlich Trauerbegleiterin?

Der Tod und die Trauer sind mir in der Kindheit, Jugend, im Erwachsenenalter und im beruflichen Umfeld immer wieder begegnet. Auch als verwaiste Mutter bin ich meiner eigenen Trauer nie davongelaufen. Vor vier Jahren habe ich dann die Ausbildung zur Trauerbegleiterin absolviert.

Was genau ist professionelle Trauerbegleitung?
Ich begleite Familien auf dem Trauerweg. Gemeinsame Gespräche helfen, die Trauer ein Stück weit zu lindern. Darüber hinaus spreche ich mit den Kindern, wenn die Eltern dafür nicht die richtigen Worte finden. Ihnen fehlt manchmal das Handwerkszeug, die passenden Worte und Erklärungen, um mit den Kindern im Trauerfall in Verbindung zu treten. Die Kinder wollen wissen, wie der große Opa in die kleine Urne passt oder warum alle schwarz angezogen sind. Trauerbegleitung ist also auch Elternberatung. Auch begleite ich Eltern in ihrer Trauer. Unter anderem im Lebenscafé für verwaiste Eltern.

Wie kann man sich Ihre Arbeit konkret vorstellen?
Überwiegend geht es um eine Beratung der Eltern mit ganz lebenspraktischen Tipps im Umgang mit ihren Kindern. Dazu zählen zum Beispiel
die Vorbereitung auf die Beerdigung und das Überbringen und Vermitteln der Todesnachricht. In einer Trauerbegleitung selbst gibt es ein telefonisches Vorgespräch. Danach erfrage ich in einem persönlichen Vorgespräch, welche Erwartungshaltung die Eltern haben? Manche Eltern wollen ihr Kind ganz schnell wieder fröhlich sehen, andere tragen die Sorge, ihr Kind zu sehr zu belasten. Wieder andere versuchen, dem Kind beizustehen oder suchen nach Wegen, insbesondere mit ihren jugendlichen Kindern in Kontakt zu bleiben. Ob es ein persönliches Vorgespräch gibt, entscheiden die Eltern selbst. Dabei habe ich immer einen Koffer mit Kerzen, Gefühlsbildern, Stiften und Kinderbüchern. Mit Hilfe von Farbwürfeln können auch Jugendliche sagen, wie sie sich momentan fühlen, was sie mit der Farbe im Moment assoziieren. Es ist immer wieder zu sehen, dass sich die Trauerfarbe mit der Zeit ändert.

Wie lange dauert die Trauer?
Wann wird aus tiefschwarz bunt? Es gibt weder „die“ Trauer noch „die“ Trauerzeit. So unterschiedlich, wie wir Menschen sind, so unterschiedlich ist die Trauer. Bei Kindern kann sich die Trauer selbst nach langer Zeit ganz plötzlich zeigen. Das kann der erste Geburtstag ohne Oma oder Opa sein. Trauer endet nicht, sondern wir lernen, damit umzugehen.

Es gibt sicher keine richtigen Antworten. Was können Eltern in guter Absicht aber falsch machen?
Richtige oder falsche Antworten gibt es nicht. Nicht darüber zu sprechen, ist aber der schlechteste Weg. Durch nicht ausgesprochene Worte bilden sich eher Ängste und Phantasien bei Kindern. Erwachsene müssen dabei nicht auf alle Kinderfragen die passenden Antworten haben.
Man darf Kindern durchaus sagen, dass man bestimmte Sachen nicht weiß. Wichtig ist es, die Fragen der Kinder zuzulassen. So haben Kinder das Gefühl, ernst genommen zu werden. Ebenso helfen Lügen nicht weiter, denn sie können bei den Kindern falsche Hoffnungen wecken. Trösten kann nur die Wahrheit. Eltern müssen auch akzeptieren, dass Kinder weinen und kurz danach wieder lachen können und zum Beispiel ein Eis essen wollen. Das heißt nicht, dass sie den Opa oder die Oma nicht vermissen.

Manche Eltern machen sich Sorgen, wenn ihre Kinder gar nicht weinen. Sind diese Sorgen berechtigt?
In den meisten Fällen nicht. Kinder weinen vielleicht erst später. Wichtig ist, ihnen Raum und Zeit zu geben, ihre Gefühle zu äußern. Mitunter ist die Sorge des Kindes viel größer, wer es morgen von der Kita abholt, wenn die Tante nun tot ist. Dahinter steht der Wunsch nach Halt und Sicherheit. Wichtig zu wissen ist auch:  Kinder wollen immer, dass es Eltern gut geht. Sie unterdrücken manchmal ihre eigenen Gefühle um den Eltern nicht noch mehr Kummer zu bereiten. Sie nehmen sich dann selbst zurück. Oft verhalten sich trauernde Geschwisterkinder so. Hier ist durchaus besondere Fürsorge notwendig. Eltern müssen sich zudem  keine Sorgen machen, wenn ihre Kinder nachts wieder ins Bett machen, nicht mehr zum Fußballtraining gehen wollen oder Wutreaktionen zeigen. Das sind keine Entwicklungsrückschritte sondern natürliche Trauerreaktionen.Wichtig ist es hier, die Kinder im Alltag zu begleiten und vor allem über Gefühle zu sprechen. Nicht selten wollen Kinder auch gerade zum Fußballtraining oder zum Chor, weil diese festen Rituale ihnen sehr viel Halt geben in einer Zeit, in der sich alles gerade verändert.

Dürfen Erwachsene ihre eigenen Gefühle zeigen und auch vor den Kindern weinen?
Ja, selbstverständlich. Kinder werden doppelt allein gelassen, wenn ihre Fragen unbeantwortet bleiben und die Gefühle vor ihnen versteckt werden. Kinder brauchen einen Raum für ihre Gefühle und die lernen sie vor allem durch ihre Eltern. Wenn ein Kind fragt, warum der Papa weint, dann kann Papa sagen, dass er sehr traurig ist und warum er traurig ist.

Warum fällt es Erwachsenen so schwer, mit Kindern über den Tod zu sprechen?
In unserem Leben findet der Tod nicht mehr statt, er wird tot geschwiegen. Gestorben wird oft still und verborgen. In unserer Gesellschaft wird der Tod verdrängt. Kinder nehmen zum Beispiel selten an Beerdigungen teil. Bei den Eltern steckt dabei keine böse Absicht dahinter. Sie wollen ihre Kinder schützen. Doch ein Schutz vor dem Leben, zu welchem auch der Tod dazu gehört, gibt es nicht. Das Thema Tod als Lebensthema zu sehen haben wir Erwachsene oft selbst nicht gelernt oder auch wieder verlernt. Diese Vermeidungsstrategie übertragen wir dann auch auf die Kinder.

Viele Eltern vermeiden es, ihre Kinder auf eine Trauerfeier mitzunehmen. Wie beurteilen Sie dieses verbreitete Tabu?
Kinder haben ein  Recht auf Abschied. Nur sollte dieser Abschied altersgerecht begleitet werden. Ich habe es erlebt, dass im Trauerfall die ganze Familie über Vorbereitungen und Ausrichtung von der Trauerfeier spricht, aber zur Beerdigung dann die Kinder nicht mit durften beziehungsweise gar nicht gefragt worden sind.  Wie können wir den Tod begreifen, wenn wir keinen Abschied haben? Gerade  hier können Kinder altersgerecht einbezogen werden. Auch können sie sanft heran geführt werden, wie eine Beerdigung ausgerichtet wird, welche Trauerrituale es gibt. Trauernde Kinder brauchen nicht wesentlich mehr, sondern mehr Wesentliches. Die Eltern müssen entscheiden, ob sie es ihren Kindern zutrauen und vor allem ob die Kinder selbst  eine solche Teilnahme auch möchten. Die Kinder selbst zu fragen ist eine Grundvoraussetzung.  Möchten die Kinder es nicht, können auch andere Abschiedsrituale gestaltet werden - späterer Gang zum Grab, Gedenktisch daheim kreativ mit dem Kind gestalten und Fragen vom Kind zulassen.

Welche Folgen kann es haben, wenn Kinder im Trauerfall ausgegrenzt werden?
Gerade wenn Kinder im Trauerfall ausgegrenzt werden und viele Kinderfragen unbeantwortet bleiben können Ängste und beunruhigende Phantasien beim Kind entstehen. Wissenschaftlich erwiesen ist, dass ungelebte Trauer im späteren Leben zu Depressionen und Traumata führen kann. Kinder beschäftigen sich gedanklich öfter mit dem Tod und dem Sterben als wir denken. Sie begegnen dem Tod durch tote Tiere auf der Straße, spielen Cowboy und Indianer, hören Radio oder sehen im TV Bilder. Unser ganzes Leben besteht aus vielen kleinen Abschieden. Die Jahreszeiten, das morgendliche aus dem Haus gehen, auf Reisen, an den Bahnhöfen, ein Umzug, der Auszug aus dem Elternhaus - lauter Abschiede, in denen wir ganz selbst verständlich unsere Kinder trösten. Genau so können wir sie auch bei den großen Abschieden trösten.

Sie gehen auch in Kitas. Was genau machen Sie dort?
Gerade der Herbst ist eine wunderbare Jahreszeit für Projekttage zum Thema Abschied. Die Natur geht in Ruhe und die Blätter welken. Was bleibt sind die Samen als Erinnerung. Die Blumen sind nicht mehr zu sehen, sie haben uns aber was hinterlassen. Man kann Kindern Sonnenblumensamen in die Hand geben und erklären, dass daraus im nächsten Sommer schöne Sonnenblumen wachsen werden. Auch gestalte ich Projekttage mit Lesezeit. In so einer Vorlesegeschichten frage ich auch, wer schon mal ein totes Tier gesehen und vielleicht sogar angefasst hat und so kommen wir ganz gut und auch auf Augenhöhe der Kinder ins Gespräch. Danach lade ich die Kinder ein, etwas darüber zu malen. Das kann das kürzlich verstorbene Haustier oder eine tote Hummel sein. Bei dieser pädagogischen Trauerarbeit geht es darum, Kinder sanft an das Thema heranzuführen und sie in ihrem Forscherdrang abzuholen. Das Vorschul- und Grundschulalter eignen sich aus entwicklungspsychologischer Sicht sehr gut, Kinder angstfrei an dieses Lebensthema heran zu führen.  Ich berate auch in Kitas, wenn ein Elternteil oder eine Erzieherin gestorben ist, gestalte Abschiedsfeiern oder Gruppenstunden. Eltern und Erzieher sind dann manchmal  unsicher, wie sie mit diesem Thema miteinander umgehen sollen. Auch Elternabende können thematisch von mir gestaltet werden. Diese Projekttage gestalte ich auch an Schulen. Es muss dabei nicht immer ein Akutfall vorliegen. Jugendliche sind  bei diesem Thema sehr kreativ.