Der Bleistift kann nicht abstürzen.
Grundschullehrerin und Autorin Ute Andresen ist Initiatorin der Allianz für die Handschrift.
Frau Andresen, welche Erinnerungen haben Sie persönlich an den Schreibunterricht?
Wir haben kurz nach dem Krieg auf der Schiefertafel schreiben gelernt und die Klasse war viel zu groß. Wir lernten gleich Schreibschrift, haben aber viel zu wenig üben können. Ich war dann sehr lange mit meiner Handschrift ebenso unzufrieden wie meine Lehrer. Darum habe ich meinen Schulkindern später die Chance gegeben, möglichst gut schreiben zu lernen.
Was halten Sie von der Grundschrift?
Nichts! Die Grundschrift selbst ist weder ästhetisch noch entwicklungsfähig. Und das Lernkonzept der Grundschrift mutet den Kindern zu, sich die Schrift im Wesentlichen autodidaktisch anzueignen. Dass dies vorteilhaft wäre, ist gänzlich unbewiesen. Aber alles, was ich erfahren habe und weiß, spricht dagegen. Die Einführung der Grundschrift jetzt, vor jeder wissenschaftlich begleiteten Erprobung, halte ich daher für leichtfertig. Unsere Kinder werden so zu Versuchskaninchen gemacht.
Der Grundschulverband sieht in der Grundschrift eine Art evolutionäre Weiterentwicklung der Schreibschrift. Sollten wir diesen Schritt nicht wagen?
Nein! Es handelt sich auch nicht um eine evolutionäre Entwicklung, sondern um einen gewaltsamen Eingriff in den Schulunterricht und unsere Schriftkultur. An der Entwicklung der Schulausgangsschrift waren Schriftexperten beteiligt und in ihr Lernkonzept sind die Erfahrungen von Generationen von Lehrern eingegangen. Bei ihrer Aneignung wird auf Anleitung und gründliche Übung gesetzt. Schon die Vereinfachte Ausgangsschrift ist von einer kleinen Gruppe im Grundschulverband ausgeklügelt und durchgesetzt worden - mit Versprechungen, die sich nie erfüllt haben. Ähnliches geschieht jetzt mit der Grundschrift, und ähnliche Enttäuschungen sind zu erwarten. Der Einführung einer neuen Anfangsschrift müsste eine breite Erprobung und Diskussion in den Wissenschaften, der Schulpraxis und der Öffentlichkeit vorausgehen. Dann kann man auch die Eltern mitnehmen. Sie haben berechtigte Bedenken, die unbedingt ernst genommen werden müssen.
Welche Bedenken sind das?
Eltern wollen ihren Kindern helfen, ihre Aufgaben möglichst gut zu machen. Dazu müssen sie die Schrift, die die Kinder schreiben sollen, selbst beherrschen. Der Ärger der Eltern entsteht genau an dieser Stelle. Für Erstklässler ist die Schule ihr erster Beruf. Den möchten sie mit möglichst minimaler Hilfe durch die Eltern bewältigen. Und sie möchten mit ihrem Können von ihren Eltern respektiert werden. Wenn Lehrer und Eltern aber nicht dasselbe von ihnen erwarten, dann ist der Streit zu Hause vorprogrammiert.
Welchen Einfluss hat die geschriebene Schrift auf das Lernen?
Was man flüssig mit der Hand schreibt, prägt sich besser ein. Aber es muss auch lesbar, übersichtlich und verständlich sein. Erst wenn man so geläufig schreibt, dass man Handschrift genauso mühelos gebraucht wie die eigene Stimme, erst dann kann sich das Gehirn frei um Inhalt, Formulierung und Anordnung kümmern. Schrift muss – integriert mit der Rechtschreibung – sicher automatisiert werden, damit der Kopf frei wird für den Ausdruck der Gedanken. Die kursiv verbundenen Schriften haben sich im Lauf der Jahrhunderte als Schriften genau dafür entwickelt. Wer eine flüssige Handschrift hat, kann auch bessere Texte schreiben.
Inwiefern werden handgeschriebene Texte besser?
Manche Autoren schreiben auch heute noch die erste Fassung ganzer Romane mit der Hand. Damit haben sie einen unmittelbaren Zugang zu ihrer eigenen Emotionalität und Phantasie. Gedanken fließen dann wie durch die Hand aufs Papier. Auch handgeschriebene Briefe sind persönlicher und gefühlsnäher als getippte E-Post. Sie transportieren mehr als technisch hergestellte Buchstaben. So wird es auch vom Adressaten wahrgenommen. Aber „In der Maschinenschrift sehen alle Menschen gleich aus.“ Das sagt uns ein Philosoph, Heidegger. Die eigene Handschrift sollte uns nur nicht peinlich sein.
Der Grundschulverband argumentiert, dass die Grundschrift leichter zu erlernen ist. Hat er in diesem Punkt Recht?
Was für eine Schrift soll das denn sein? Beim Schreibenlernen ist es wie im Sport: Anspruchsvolle Fähigkeiten entwickeln sich in ebensolchen Lernprozessen. Und Fehler dürfen sich nicht automatisieren, sonst sind sie nur noch schwer zu beheben. Also braucht man eine gewissenhafte Anleitung und Überprüfung durch Trainer bzw. Lehrer und viel Übung. Lernen Kinder nur eine Minimalschrift, beraubt man sie ihrer motorischen Möglichkeiten, eine persönliche, flüssige, lesbare Handschrift zu entwickeln. Die braucht eine anspruchsvolle Ausgangsschrift.
Welche Vorteile hat die Handschrift heute im Alltag?
Man kann in jeder Lebenslage seine Gedanken auf einem Fetzen Papier mit einem Bleistiftstummel festhalten und mitteilen. Der Bleistift kann nicht abstürzen und die Handschrift kann man nicht hacken. Ich glaube, dass wir die Handschrift vor dem Hintergrund von NSA in Zukunft anders bewerten werden.
Wie wird man in 50 Jahren schreiben lernen?
Ich hoffe, dass im Schreibunterricht wieder die nötige Sorgfalt einkehrt. Für die Kinder kann das Schreiben eine kleine meditative Übung sein. Dafür brauchen Sie ausreichend Zeit. Der Schreibunterricht muss ein Moment außerhalb der allgemeinen Hektik werden.