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Datum: Dienstag, 09. Februar 2016 13:39

experteninterview

Kinder brauchen Platz zum Spielen, nicht zum Sitzen

Interview mit Prof. Dr. Renate Zimmer, Professorin für Sportwissenschaft
an der Universität Osnabrück und Direktorin des Niedersächsischen Instituts
für frühkindliche Bildung und Entwicklung. Auf ihre Initiative findet im März zum 10. Mal der  Kongress „Bewegte Kindheit“ in Osnabrück statt.
In Büchern wie „Schafft die Stühle ab“ oder „Toben macht schlau“ plädiert
sie für mehr Bewegung. 2007 hat sie für ihr bildungspolitisches Engagement den Bundesverdienstorden erhalten.

Dass Sport gesund ist, weiß jeder. Warum genau ist Bewegung für Kinder so wichtig?
Bewegung ist nicht nur die Voraussetzung für körperliche und geistige Gesundheit und für ein gesundes Wachstum von Kindern. Gleichzeitig schafft Bewegung einen Zugang zur Welt. Über ihren Körper und ihre Sinne erfahren Kinder ihre Umwelt, sie setzen sich mit sich selbst und anderen auseinander. Sie lernen: Was kann ich mir zutrauen, was schaffe ich? Sie erwerben Selbstbewusstsein, ein kleines Kind erfährt Selbstständigkeit erstmals über Bewegung. Deswegen ist altersgerechte Bewegung für jedes Kind enorm wichtig.

Wie lange sollte sich ein Kind täglich bewegen?
Experten empfehlen etwa zwei Stunden pro Tag, dazu zählt auch schon das Laufen zur Kita oder das Spielen auf dem Spielplatz. Ich finde, es dürften gern deutlich mehr als diese zwei Stunden sein. Gerade kleine Kinder haben einen sehr großen Bewegungsdrang. Eltern sollten ihnen die Möglichkeit geben, diesen auch auszuleben.

Schlagzeilen wie 'Mehr dicke Kinder' tauchen immer häufiger auf. Haben Sie den Eindruck, dass Kinder heute weniger sportlich sind als noch vor 30 Jahren?
Ich denke nicht, dass Kinder heute weniger sportlich sind, es sind nur weniger Kinder sportlich. Die Schere zwischen sehr sportlichen und extrem unsportlichen und übergewichtigen Kindern geht weiter auseinander. Auf der einen Seite gibt es viele engagierte Eltern, die ihre Kinder schon früh im Sportverein anmelden und darauf achten, dass ihre Kinder sich viel bewegen. Andererseits gibt es die Familien, wo Sport leider keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Was sind die Risiken, wenn Kinder sich nicht oder zu wenig bewegen?
Diese Kinder haben weniger Gelegenheit, ihre motorischen und emotionalen Kompetenzen zu entwickeln, oft fehlt ihnen ein gutes Körpergefühl. Sie können Risiken schlechter einschätzen. Ein Kind, das eine Treppe nicht hoch und runter rennen darf, wird eher stürzen, wenn es unbeaufsichtigt doch mal die Treppe herunterflitzt. Viele Eltern sind heute zu vorsichtig, sie neigen dazu, ihre Kinder überzubehüten. Kinder haben kaum noch Bewegungsmöglichkeiten im Alltag, weil die Bewegung immer mehr institutionalisiert und auf speziell dafür vorgesehene Räume (z.B. Turnhalle, Sportplatz) eingeschränkt wird.

Also braucht es nicht unbedingt mehr Sportvereine, sondern bessere Spielplätze?
Was heute tatsächlich fehlt, ist das freie Spiel draußen auf der Straße und auf dem Spielplatz. Dazu fehlen einfach die Möglichkeiten – die Orte, die Zeit, andere Kinder. Daher ist der Vereinssport ein ganz wichtiges Angebot, um Kinder zu mehr Bewegung zu motivieren. Wenn Kinder in der Gruppe Sport treiben, ist auch die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie dabei bleiben, wenn sie in einer Phase mal keine Lust mehr haben. Eltern sollten ihre Kinder allerdings nicht mit zu vielen Terminen pro Woche überfrachten – sei es für den Sport oder den Musikunterricht. Aber ein bis zwei feste „Termine“ pro Woche halte ich für völlig legitim. Wenn ältere Kinder das von sich aus wünschen, sind auch mehr ok.

Ab welchem Alter sollte ein Kind anfangen, regelmäßig Sport zu treiben?
Im Grunde ist Bewegung bereits ab dem ersten Lebenstag an wichtig. Anfangs reicht die gemeinsame Bewegung mit den Eltern zu Hause aus. Wenn Kinder laufen können sind die Bewegungsangebote in den Eltern-Kind-Gruppen der Turn- und Sportvereine oder anderer Institutionen sinnvoll. So lernen die Kleinen von Beginn an, sich regelmäßig und mit anderen zu bewegen. Mit etwa 3 bis 5 Jahre können die Kinder dann auch ohne Eltern zum Sportverein. In dem Alter ist allgemeiner Kindersport mit möglichst vielseitigen spielerischen Bewegungsangeboten das richtige. Eine Spezialisierung auf eine bestimmte Sportart sollte frühestens ab etwa 7 bis 8 Jahren erfolgen.