Familie auf Zeit

Datum: Freitag, 28. Oktober 2016 10:27

 

Der zuständige Sozialarbeiter ist Ansprechpartner für Fragen, Sorgen und Ängste, für rechtliche und finanzielle Aspekte, für Beratungen und Schulungen der Pflegefamilie. Je nach Struktur des Jugendamts und je nach Anliegen hat die Pflegefamilie einen festen Ansprechpartner oder aber mehrere. Wie gut die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt funktioniert, hängt u. a. davon ab, für wie viele Pflegefamilien der Mitarbeiter zuständig ist. Eine Auswertung des Deutschen Jugendinstituts ergab, dass es dabei eine große Bandbreite gibt – so muss in einigen Kommunen ein Mitarbeiter 15 Pflegekinder betreuen, in anderen 200.


Alltag einer Pflegefamilie

Pflegefamilien müssen bedenken, dass der Alltag mit einem Pflegekind unter Umständen ganz anders ist, als der mit den eigenen Kindern. Pflegekinder haben in der Regel viel durchgemacht, bevor sie in eine Pflegefamilie kommen, in jedem Fall die (zeitweise) Trennung von den Eltern, oft noch sehr viel mehr. Vernachlässigung, Misshandlung, sexueller Missbrauch und andere Formen der Gewalt sind nicht selten. Einige Kinder haben irreversible Schäden, beispielsweise durch Alkohol- oder Drogenkonsum der Mutter während der Schwangerschaft. Je nachdem, was das Kind bisher erlebt hat und wie sehr es von seinen Erfahrungen geprägt wurde, kann es folgende Auffälligkeiten zeigen: Einnässen, Essen horten, Klauen, Misstrauen, fehlendes Selbstwertgefühl, Nichtzulassen von Nähe, fehlendes Mitgefühl und Empathie, Hyperaktivität, Aggressivität, fehlende Frustrationstoleranz, Entwicklungsverzögerungen und Lernschwierigkeiten. Bestimmte Schädigungen lassen sich auch mit noch so viel Liebe und Zuwendung, Konsequenz und Alltagsstruktur nicht vollständig beheben. Nichtsdestotrotz sind gerade für Pflegekinder klare Regeln, Grenzen, Rituale, feste Strukturen und Abläufe und Regelmäßigkeit sehr wichtig und hilfreich. Pflegekinder brauchen ein besonderes Maß an Verlässlichkeit und Geborgenheit. Die Pflegeeltern benötigen vor allem Ruhe und Gelassenheit, Kraft und starke Nerven.
Wie schwierig die Kinder auch sein mögen: Pflegeeltern sollten nichts persönlich nehmen, sich nicht persönlich angegriffen oder verletzt fühlen.


Der Alltag mit Pflegekindern ist aufwendiger: Arztbesuche, Therapie, Besuche bei den leiblichen Eltern, Gespräche mit dem Jugendamt – all das nimmt Zeit in Anspruch. Wie auch bei den eigenen Kindern sollten die Pflegeeltern sich in Kita und Schule für ihren Zögling einsetzen. Das kann manchmal etwas schwierig sein, wenn den Erziehern oder Lehrern das Verständnis für die besondere Situation des Pflegekindes fehlt.
Auch wenn das Pflegeverhältnis irgendwann endet, spätestens mit der Volljährigkeit, ist das Kind nicht einfach aus der Welt. Je nachdem, wie vertrauensvoll das Verhältnis in den vorangegangenen Jahren war, wollen beide Seiten auch über den 18. Geburtstag hinaus Kontakt halten.


Ein weiterer Unterschied zum Alltag mit eigenen Kindern: Das Sorgerecht für das Pflegekind geht nicht auf die Pflegeeltern über, sondern bleibt in der Regel bei den Herkunftseltern oder bei einem Vormund. Das heißt konkret: Bestimmte Dinge, wie den Aufenthaltsort, die Wahl des Kindergartens oder der Schule oder auch medizinische Behandlungen müssen die Pflegeeltern mit dem Jugendamt bzw. den Herkunftseltern oder dem Vormund abstimmen. Da die Pflegefamilie aber den Alltag mit dem Pflegekind bewältigen muss, ohne ständig um Erlaubnis zu fragen, dürfen sie über bestimmte Dinge allein entscheiden. (siehe Abschnitt „Rechtliches“)


Doch bei all diesen Schwierigkeiten und Herausforderungen hat das Leben mit Pflegekindern auch schöne Seiten: Jedes Lächeln, jeder Fortschritt, jeder Entwicklungssprung, jede Umarmung des Kindes entschädigen für die Strapazen des Alltags.


Die Rolle leiblicher Kinder

Wie bereits angedeutet, sollten die eigenen Kinder in die Entscheidung für ein Pflegekind miteinbezogen werden. Sie müssen diese Entscheidung grundsätzlich mittragen, damit das Zusammenleben in der veränderten „Großfamilie“ funktioniert. Etabliert hat es sich, dass das Pflegekind deutlich jünger oder älter als die leiblichen Kinder ist, also mindestens drei Jahre Altersabstand. Ist es jünger, hat es den Vorteil, dass es vielleicht „Welpenschutz“ genießt und dass die großen Geschwister sich bei Bedarf wehren können, sollte das Pflegekind tatsächlich durch aggressives Verhalten auffallen. Ein eigenes Kinderzimmer für das Pflegekind macht es für alle Beteiligten einfacher. So hat jeder sein Reich und kann sich bei Bedarf zurückziehen.


Wie bei leiblichen Geschwistern werden Eifersucht und Streit nicht ausbleiben. Dann besteht die He-rausforderung für die Eltern, ruhig und fair zu bleiben. Sie sollten weder das Pflegekind noch das leibliche Kind bevorzugen oder als den Bösen hinstellen. Im Umgang miteinander sollten klare Regeln aufgestellt werden, die für alle gelten. Nimmt das Pflegekind besonders viel Zeit und Aufmerksamkeit der Eltern in Anspruch, kann exklusive Mama-und-Papa-Zeit für die leiblichen Kinder ein guter Ausgleich sein.
Die Familienerweiterung bietet auch Chancen für die eigenen Kinder. Sie bekommen weitere oder überhaupt Geschwister, sie haben neue Spielkameraden. Sie profitieren vor allem auf sozialer Ebene, lernen Toleranz und Fairness, Durchsetzungsvermögen und Nachsicht. Sie lernen die vielleicht völlig andere Lebenswelt der Pflegekinder kennen.


Besonderheiten bei ausländischen Kindern

Prinzipiell ist es möglich, ausländische Kinder in deutsche Pflegefamilien zu geben. Durch die hohe Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge ist der Bedarf an Pflegefamilien, die bereit sind, ausländische Kinder aufzunehmen, sehr groß. Die Rechte und Pflichten für ein solches Pflegeverhältnis sind prinzipiell gleich, die Herausforderungen meist größer. Spricht das Kind kein oder nur schlecht deutsch, ist dies eine erste Hürde, die es zu bedenken gilt. Es erschwert die so wichtige Verständigung. Kommt das Kind aus einem anderen Kulturkreis, kann das zu Konflikten im Alltag führen. Das Kind ist nicht nur zwischen zwei Familien zerrissen, sondern auch zwischen zwei Lebenswelten. Besteht Kontakt zur Herkunftsfamilie, kann diese durchaus verlangen, dass das Kind seinen Glauben im Alltag leben darf. Das kann bedeuten, dass es beispielsweise kein Schweinefleisch isst, Kopftuch trägt oder einen Platz zum Beten braucht. Gerade Flüchtlinge sind von den Erlebnissen in ihrem Heimatland und während der Flucht oft traumatisiert. Sie brauchen besondere Zuwendung und Unterstützung. Die teilweise unklare Bleibeperspektive in Deutschland kann das Pflegeverhältnis zusätzlich belasten. Pflegefamilien, die ein ausländisches Kind bei sich aufnehmen wollen, sollten idealerweise selbst Erfahrungen mit anderen Ländern und Sitten gemacht haben, sei es durch eigene Reisen oder die Aufnahme von Austauschschülern. In jedem Fall sollten sie offen für andere Kulturen sein. Dann bietet die Aufnahme ausländischer Kinder und Jugendlicher großartige Chancen, sie kann eine Bereicherung für die ganze Familie sein.