Familie auf Zeit

Datum: Freitag, 28. Oktober 2016 10:27

 

Besonderheiten bei behinderten Kindern

Behinderte Kinder, die nicht mehr in ihrer eigenen Familie leben können, bekommen in Deutschland nur selten die Chance auf eine Pflegefamilie. Öfter kommen sie ins Heim. Ein Problem bei der Versorgung behinderter Kinder außerhalb ihrer Familie ist die Frage der rechtlichen Zuständigkeit. Je nach Behinderung fällt das Kind in die Zuständigkeit des Sozialamtes als Leistung der Eingliederungshilfe nach SGB XII oder aber wie nicht-behinderte Pflegekinder in die Zuständigkeit des Jugendamtes als Hilfe zur Erziehung gemäß SGB VIII. Die Zuständigkeit hat u. a. Einfluss auf das Pflegegeld und weitere Kostenübernahmen, sowie auf die Ausgestaltung des Hilfeplans. In der Sozialhilfe ist im Vergleich zur Jugendhilfe das Kind selbst Leistungsberechtigter. Daher haben Pflegeeltern gegenüber dem Sozialhilfeträger keinen eigenen Leistungsanspruch und somit auch keinen einklagbaren Anspruch auf Beratung.


Um dieser unübersichtlichen Situation sowohl für Kinder als auch Pflegeltern zu begegnen, hat sich 2014 das Aktionsbündnis „Kinder mit Behinderungen in Pflegefamilien“ gegründet. Es fordert einen barrierefreien Zugang zu Pflegeverhältnissen, ausreichende Entlastungsangebote und finanzielle Unterstützung für Pflegefamilien, sowie bundesweite Qualitätsstandards der Träger. Mehr Informationen: zur Website 


Die Aufnahme eines behinderten Pflegekindes ist mit mehr Aufwand und Kosten verbunden. Das Kind braucht Förderungen, Therapien, eine geeignete Kita bzw. Schule, ggf. sind Umbauten am Haus erforderlich und ein behindertengerechter PKW. Wenn möglich und nötig werden Kinder mit besonderen Bedürfnissen an Pflegefamilien mit besonderer Ausbildung vermittelt, also solche, bei denen mindestens ein Elternteil über eine sozial-, heil- oder sonderpädagogische o. ä. Ausbildung verfügt. Dieser Elternteil hat dann nicht mehr die Möglichkeit, seinen Beruf auszuüben, er soll sich voll und ganz dem Pflegekind widmen können. Wegen des höheren Aufwands erhalten solche Pflegefamilien mehr Pflegegeld.
Wer ein behindertes Kind bei sich aufnimmt, wird mit weitaus intensiveren Reaktionen aus seinem Umfeld rechnen müssen, als man sie vielleicht schon mit einem „normalen“ Pflegekind kennt. Behinderte Menschen gelten trotz aller Bemühungen um Integration und Inklusion weiter als Sonderfall, als Außenseiter. Umso wichtiger ist es, dass auch Kinder mit Behinderungen die Chance bekommen, in einer Pflegefamilie aufzuwachsen.


Umgang mit der Herkunftsfamilie

Kommt ein Kind in eine Pflegefamilie, soll es dennoch den Kontakt zu seinen leiblichen Eltern behalten, wenn gewünscht auch mit seinen Geschwistern und Großeltern. Dieses Umgangsrecht ist gesetzlich geregelt. Der Gedanke dabei: Das Kind hat ein Leben lang ein Recht auf seine leiblichen Eltern, soll auch später noch wissen, wo seine Wurzeln sind. Zudem sind regelmäßige Kontakte wichtig, wenn eine Rückkehr des Kindes in seine leibliche Familie angedacht ist. Sie bieten auch eine gewisse Kontinuität. Aus diesem Grund werden regelmäßige Kontakte mit den Eltern meist im Hilfeplan festgeschrieben. Je nach Situation, gehen die Kinder zu ihren Eltern, kommen die Eltern in die Pflegefamilie oder alle treffen sich auf „neutralem“ Boden, beispielsweise zu einem Ausflug. Ob ein Mitarbeiter des Jugendamtes dabei ist, hängt ebenfalls vom konkreten Fall ab. Wie oft die Kontakte stattfinden sollen, ist nicht vorgeschrieben und wird für jede Familie individuell entschieden, üblich ist ein mehrstündiger Kontakt alle zwei bis sechs Wochen.


Fast immer birgt die Beziehung zwischen Pflege- und Herkunftseltern Zündstoff. Zum einen sind die Rechte (Sorgerecht etc.) meist auf beide Familien verteilt, fast immer leben beide Familien in völlig verschiedenen sozialen Welten, die nun aufeinandertreffen. Zum anderen geben die wenigsten Eltern ihr Kind freiwillig weg. Die leiblichen Eltern haben also vor allem Angst, dass sie ihr Kind an die neue Familie verlieren, dass es sie am Ende mehr liebt, dass es irgendwann nichts mehr von seinen Eltern wissen will. Die Pflegeeltern wiederum haben Angst um das Wohl des Kindes, welches ja nicht ohne Grund aus seiner Familie genommen wurde, dass es durch die Besuchskontakte vielleicht noch mehr Schaden nimmt, dass es vielleicht irgendwann zurück muss in sein altes, schlechtes Leben. Da kann es schnell passieren, dass das Kind zwischen die Stühle gerät und in einen Loyalitäts- und Identitätskonflikt kommt. Daher ist für das Kind ganz entscheidend, dass beide Eltern sich um eine gute Beziehung zueinander bemühen, dass sie Konkurrenzdenken und Vorurteile ausblenden. Ein guter Anfang ist es schon, sich die Sichtweise des jeweils anderen vor Augen zu führen und dafür Verständnis zu entwickeln. Gegenseitige Achtung und Wertschätzung helfen. Im Grunde wollen beide Familien das Gleiche: das Beste für das Kind. So schwer es fallen mag: Die Pflegeeltern sollten versuchen, ein gutes, vielleicht herzliches Verhältnis zu den Herkunftseltern aufzubauen, sie sollten Verständnis und Mitgefühl für die Eltern zeigen. Oft genug hatten solche Eltern selbst eine schwierige Kindheit und sind einfach nicht in der Lage, ihrem Kind ein besseres Leben zu ermöglichen. Pflegeeltern sollten es unterlassen, vor dem Kind schlecht über die leiblichen Eltern zu reden. Kinder spüren sehr schnell, wenn die Pflegeeltern die leiblichen Eltern verachten. Das kann sie zweifeln lassen: an sich, an ihrer Herkunft, sie haben aber sehr wohl ein Recht darauf, ihre leiblichen Eltern ebenfalls zu lieben.


Finanzielle Aspekte

Pflegeeltern übernehmen mit der Erziehung von Pflegekindern eine öffentliche Aufgabe und bekommen dafür Geld vom Staat – das Pflegegeld. Es muss nicht extra beantragt werden, es wird monatlich ausgezahlt und setzt sich zusammen aus dem Erziehungsgeld, welches die Arbeit honoriert, und aus einer Sachkostenpauschale, welche die entstehenden Kosten wie Schulsachen, Kleidung, Weihnachtsgeschenke, Taschengeld und Lebensmittel abdeckt. Wie hoch das Pflegegeld ist, entscheidet jedes Bundesland, die meisten orientieren sich an den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, andere haben eigene Regelungen. Die Sachkostenpauschale variiert je nach Alter des Kindes, das Erziehungsgeld bleibt gleich.