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eine tolle Erfindung. Meine Jungs nutzen es für ihre
Wege zum Fußballplatz oder zur Eishockeyhalle. Der
Kleine ist jetzt gerade mit demRad zum Tennis gefah-
ren. Da darf man als Papa auch nicht übervorsichtig
sein, denn auch das Stürzen müssen Kinder lernen.
Ist man als Kind öfter gestürzt, ohne sich etwas zu
tun, dann kann man sich besser abrollen und steht
später schneller wieder auf.
Auf Facebook teilen Sie kleine Radtouren und Zeit-
fahren Ihrer Kinder mit den Fans, sind Sie bei Ra-
dausflügen eher der vorsichtige Papa oder kommt da
schon der ehrgeizige Sportler durch?
Ich bin eher der
vorsichtige Papa und fördere auch überhaupt keinen
Leistungsdruck. Das machen die Kinder schon unter
sich, da will der kleine Bruder natürlich schneller als
der große sein. Meine große Tochter hat da immer
noch die Nase vorn und spornt damit ihre Brüder an.
Ich trete bei unseren Radtouren eher auf die Bremse.
Wenn wir mit der Großfamilie unterwegs sind, haben
wir auch ganz strikte Regeln. Da werden vorher die
Bremsen und der Luftdruck kontrolliert und jeder
trägt einen Helm. Ich bin auch froh, wenn wir wieder
alle gesund zu Hause angekommen sind.
Sie leben heute in der Schweiz, warum sind Sie
aus Deutschland weggezogen?
Ich hatte damals in
Deutschland komplett meine Privatsphäre verloren.
Teilweise hielten Reisebusse vor meinem Haus. Wir
konnten weder ins Kino noch einkaufen gehen. Vie-
les, was zum Leben dazugehört, war für mich nicht
mehr da. Freunde haben mir geraten, ein Stück wei-
ter an den Bodensee zu ziehen – und nach dem Um-
zug hat sich wirklich viel verändert. Hier haben wir
unsere Privatsphäre wieder und ich kann mit meiner
Familie ein ganz normales Leben führen.
Fehlt Ihnen das flache Land Ihrer Kindheit?
Das
flache Land fehlt mir eigentlich nicht, mein Traum
waren schon immer Wasser und hohe Berge. Genau
das habe ich hier. Was mir allerdings wirklich fehlt,
ist die Ostsee. Dort bin ich aufgewachsen und als
Kind oft mit dem Fahrrad ans Meer gefahren, um
mit Freunden in den herrlichen Dünen oder an den
Steilküsten zu toben. Das fehlt mir. Wenn ich mein
Rostock besuche, kommen diese vielen schönen Bil-
der aus meiner Kindheit immer hoch. Die Sehnsucht
nach demMeer spüre ich schon.
Wir leben hier in der Lausitz, mit dem Spreewald ne-
benan ein Mekka für Radfahrer – verbindet Sie etwas
mit unserer Region?
Mein Freund und ehemaliger
Kollege Olaf Pollack wohnt in der Nähe von Cottbus.
Ich besuche ihn immer wieder und dann Radeln wir
auch ein paar Tage durch den Spreewald oder die
Lausitz. Das ist eine tolle Gegend. Die großen Berge
fehlen zwar, aber man kann ja nicht alles haben.
Sie engagieren sich für Kinder, dazu gibt es unter
janullrichcharity.comeineneigenenAuftritt–sinddie
Rollerkids auf der Homepage die „kleinen Ullrichs“?
Nein, das sind nicht meine Kinder. Unsere Kinder
halten wir bewusst aus der Öffentlichkeit heraus.
Mein jüngster Sohn weiß nicht einmal, dass ich frü-
her Radprofi war. Dadurch können wir hier auch in
Frieden leben.
Wofür engagieren Sie sich und warum?
Ich wollte
gezielt etwas für Kinder tun. Uns geht es gut und ich
spüre auch die Pflicht, davon etwas abzugeben und
das Miteinander in der Gesellschaft zu fördern. Mir ist
aufgefallen, dass es auch hier um die Ecke viele hilfs-
bedürftige Kinder gibt und man nicht immer ins Aus-
land schauen muss. Ein paar Kilometer von unserem
Zuhause leben Kinder in einemHeim, die allesamt im
Leben sehr wenig Glück hatten und deren Schicksal
es mir angetan hat. Da will ich helfen und engagiere
mich z.B. mit demVerkauf toller Produkte auf meiner
Charity-Homepage, deren Erlös diesen Kindern zu
Gute kommt.
Heute bieten Sie Freizeitradlern die Chance zu ge-
meinsamen Event-Touren im Süden Europas oder
den USA – ist das auch was für die radelnde Familie?
Das gibt es noch nicht für Familien, das ist aber eine
tolle Idee. Ich könnte mir gut vorstellen, mit Familien
hier eine Runde um den Bodensee zu radeln. Bislang
ist das Angebot eher für Urlauber oder Kinder, die ein
bisschen Sport treiben und mit Rad fahren wollen.
Da geht es nicht um Siege oder Zeiten, sondern um
einen gemeinsamen sportlichen Tag. Abends erzähle
ich dann meist Geschichten aus meinem Leben, das
ist alles sehr gemütlich. Schnell fahren und um Siege
kämpfen musste ich mein ganzes Leben, jetzt will ich
das genießen.
Wenn Sie auf Ihr bisheriges Leben zurückblicken,
welche Erinnerung ist Ihnen die Liebste, welche
die Schmerzhafteste?
Die besten Momente meines
Lebens waren die Geburten meiner Kinder und die
Hochzeit mit meiner Frau. Wir sind gemeinsamdurch
schwere Zeiten gegangen und immer noch ein tolles
Team, unsere Ehe ist immer noch so perfekt wie am
ersten Tag. Natürlich kommen im Sportlichen die
größten Siege bei der Tour-de-France oder Olympia
dazu. Mit meinen 42 Jahren ist das Sportliche heute
aber zweitrangig und zählt erst hinter der Familie. Bei
den schlechten Erinnerungen ist das ähnlich. Unter
dem Verlust geliebter Menschen leide ich extrem. Als
mein Opa im Jahr 1993 kurz vor meinem Weltmeis-
tertitel starb, hat mich das lange beschäftigt. Sport-
lich hatte ich sehr lange mit dem Ausschluss von
der Tour-de-France im Jahr 2006 zu kämpfen. Damit
habe ich aber inzwischen meinen Frieden gemacht.
Wie würden Sie eigentlich reagieren, wenn eines Ih-
rer Kinder Radprofi werden möchte?
Ich würde das
unterstützen. Sicher wird gerade mit Blick aufs Do-
ping oft schlechter über die Sportbranche berichtet,
als sie ist. Andere Branchen in Wirtschaft und Politik
haben da auch ihre Schwächen. Meines Erachtens
kann man Kinder mit gutem Gewissen ihren Weg
im Leistungssport gehen lassen, wenn sie dort ihre
Stärken haben. Ich würde mein Leben auch wieder
genauso einschlagen, wenn ich noch einmal vor der
Entscheidung stehen würde.
Sie haben oft gesagt, als Radprofi braucht man im-
mer eine Ziellinie – wenn Sie nach vorn blicken, wel-
che Ziele möchten Sie da noch erreichen?
Das Fami-
liengeschehen hört ja nie auf: „Kleine Kinder, kleine
Sorgen, große Kinder, große Sorgen“. So ist das auch
bei uns. Unser Hauptziel ist, dass wir aus unseren
Kindern tolle Menschen formen, die ihren Weg ge-
hen. Mit einem Blick auf die Unruhe in der Welt ist
mir auch wichtig meinen Beitrag zu leisten, dass
wir unsere Zeit hier friedlich verbringen. Da zählen
Aspekte wie Toleranz und da will ich auch ein gutes
Vorbild sein. Ich möchte gesund bleiben und auch
noch viele Sachen erleben, später Zeit mit meinen En-
keln verbringen und die Welt bereisen. Toll wäre es,
mit meinen drei Brüdern mal auf einen hohen Berg
wie den Kilimandscharo zu laufen. Ab und zu will ich
mal aus dem Alltag ausbrechen – aber letztendlich
sind die meisten Ziele wie sicher bei vielen anderen
Menschen auch.
Zum Abschluss: Welchen Rat zum Rad können Sie
allen Familien ans Herz legen?
Immer einen schönen
Helm aufzusetzen! Ich fahre selbst zum Bäcker um
die Ecke nur mit Helm. Ansonsten macht Rad fahren
einfach Spaß und ist gesund. Ich glaube, wenn Eltern
das Vorleben und gerne Rad fahren und das nicht als
Wettkampf betrachten, dann ziehen die Kinder von
ganz allein mit. Die Kleinen schauen immer auf die
Eltern und die großen Geschwister. Es ist ein wun-
derschöner Sport, man lernt die Heimat kennen und
genießen. Vor allem ist es eine Zeit, die man gemein-
sam in der Familie verbringt. Das schafft Erlebnisse,
die verbinden.
Vielen Dank für das Interview.
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mit Jan Ullrich gemeinsam Rad fahren und einen
Plausch über sein bewegten Leben führen kann.
Wer es noch persönlicher mag, der kann ihn auch
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stützt, das kann jedermann z.B. mit dem Kauf coo-
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