Der Pflegenotstand in Zahlen

Datum: Montag, 07. März 2022 14:11


Schon heute arbeiten Pflegekräfte am Limit – und die Situation soll sich weiter verschlechtern. Worin liegen die Ursachen dafür? Foto: Prompilove, istock

… und wie Familien dennoch einen Platz bekommen

Der vielfach beschworene Pflegenotstand ist längst Realität. Das System dahinter befindet sich schon lange in Behandlung, jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Stattdessen zeigen düstere Prognosen eine Personallücke von fast 500.000 Pflegekräften in der Altenpflege in nicht mal 15 Jahren. Worin liegen die Ursachen für diese sich anbahnende Katastrophe, mit welchen Mitteln soll dem etwas entgegengesetzt werden und wie kommen Familien trotzdem zu einem umsorgten, stationären Platz für die Großeltern? Die Wurzeln des Altenpflegenotstands im Detail:

Problem Nummer 1: Wir werden immer älter

Die Deutschen leben immer länger. Medizinischer Fortschritt, steigender Wohlstand oder auch zunehmend gesündere Lebensweisen zählen zu den Gründen. Verschiedene Studien und Prognosen übersetzen die verlängerte Lebensdauer in Zahlen. Segneten unsere Urahnen Ende des 19. Jahrhunderts noch mit rund 50 Jahren das Zeitliche, erreichte die Lebenserwartung 1980 schon rund 70 (Männer) bzw. 76 Jahre (Frauen). Bis 2030 könnten es nochmals rund zehn Jahre mehr sein.

Für die Altenpflege bringt das gewisse strukturelle Probleme mit sich. Umso älter man wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man Pflegeleistungen in Anspruch nehmen möchte bzw. muss. Das zeigt eine Statistik von Destatis, wonach in der Altersgruppe Ü85 mehr als jede zweite Frau und gut ein Drittel der Männer gepflegt werden müssen. Mit wachsender Lebenserwartung erhöht sich auch die Dauer, wie lange einzelne Personen gepflegt werden – und mit dem Alter auch die Intensität der Pflege.

Problem Nummer 2: Die Generation Babyboomer

Eine relativ hohe Lebenserwartung haben auch die sogenannten Babyboomer. Gemeint ist die Generation der Nachkriegszeit von 1946 bis 1964, die einen riesigen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Inmitten des neuen Wohlstands wurden in Deutschland die höchsten Geburtenraten aller Zeiten gemessen. Der Grundstein für die Karrierefrau wurde in dieser Zeit gelegt, auch stammt der Begriff „Workaholic“ aus dieser Zeit.

Überproportional viele arbeiten heute noch in der Pflege und werden in absehbarer Zeit in Rente gehen. Nicht selten bestehen Stationen in der Kranken- oder Altenpflege heute zu mehr als 50 Prozent aus Babyboomern. Die Weichen für die Schließung dieser baldigen Lücken zu stellen, ist eine unausweichliche Aufgabe, bei der es darum geht, den Status Quo in der Pflegequalität aufrecht erhalten zu können.

Nicht nur mit ihrem Ausscheiden aus dem Beruf werden die Babyboomer die Personalsituation in der Pflege belasten. Einmal in Rente, wird diese geburtenstarke Generation gegen Ende des Jahrzehnts zunehmend selbst pflegebedürftig. Um für sie ohne die Notwendigkeit besonderer Eingriffe ins Pflegesystem genügend Pflegekräfte haben zu können, hätte es noch mindestens eine weitere babyboomende Generation gebraucht.

Problem Nummer 3: Zu wenig Nachwuchs

Eine weitere Ursache für den Notstand in der Altenpflege liegt nicht in Generationsfragen oder Zukunftsprognosen, sondern in der Arbeitssituation im Hier und Jetzt.

Seit 2020 erfahren alle angehenden Pflegekräfte eine generalistische Ausbildung. Sie müssen sich nicht vorab entscheiden, ob sie künftig in der Krankenpflege, Kinderkrankenpflege oder Altenpflege arbeiten möchten. Es wird alles in einem vermittelt und später haben Kräfte die freie Wahl, in welchen Bereich sie gehen möchten. Gut an dieser Reform war auch die Abschaffung des Schulgelds, das zuvor für eine Ausbildung in der Altenpflege gezahlt werden musste.
Dennoch konnte die Ausbildungsreform in der Pflege nicht für ein spürbar größeres Interesse am Altenpflege-Berufsbild sorgen. Der Grund dafür liegt in unterschiedlichen Gehältern – so verdienen Hilfs- und Fachkräfte in der Krankenpflege rund 500 Euro mehr. Warum sollte man sich als frisch ausgelernte Person dann für eine Arbeitsstelle in der Altenpflege entscheiden?

In den vergangenen Jahren ist es zwar gelungen, jedes Jahr eine fünfstellige Zahl an Kräften in die Pflege zu holen. Dieser Trend ließ sich auch durch die Coronapandemie nicht unterbrechen. Doch die nachrückenden Kräfte sind zahlenmäßig nicht genug, um dem noch schneller steigenden Bedarf gerecht zu werden.

Zu den Gehaltsunterschieden zwischen Kranken- und Altenpflege kommt noch hinzu, dass Altenpflegekräfte häufiger frühzeitig in Rente gehen und mehr Krankentage verzeichnen als viele andere Berufsgruppen. Laut dem TK-Gesundheitsreport 2019 lassen sich Pflegekräfte durchschnittlich 4,63 Tage pro Jahr wegen psychischer Beschwerden krankschreiben – deutlich mehr als bei allen Berufsgruppen im Durchschnitt (2,47 Tage). Die Zahl der Krankheitstage, die auf Muskel-Skelett-Erkrankungen zurückzuführen sind, übertrifft mit 4,78 Tagen ebenfalls weit den Durchschnitt (2,61 Tage). Knapp 40 Prozent der Pflegekräfte gaben an, bereits an der Belastungsgrenze zu arbeiten. Die Pandemie dürfte der Brandbeschleuniger für diese Missstände gewesen sein.

Long Story short

Wir erreichen immer höhere Altersrekorde, müssen dementsprechend länger und intensiver gepflegt werden, und haben dafür aufgrund massiver Rentenzugänge in den nächsten zehn Jahren viel zu wenig Pflegekräfte. Das nachströmende Personal wird unzureichend bezahlt und reicht zahlenmäßig nicht ansatzweise für die Entlastung des Systems aus.

Alles in allem wird mit der Zahl der Pflegebedürftigen auch die Personallücke in der Pflege immer größer. Rund 6 Millionen Deutsche könnten laut dem Barmer Pflegereport 2030 pflegebedürftig sein – rund 50 Prozent mehr als aktuell. Zu zwei aktuellen Pflegeeinrichtungen müsste eine weitere dazugebaut werden, um den Bedarf decken zu können. Nötig sind bis 2030 dafür weit über 400.000 weitere Pflegekräfte.

Wie bekommen Familien einen Platz?

Schon heute sorgt der Pflegenotstand regelmäßig dafür, dass man für einen Pflegeplatz erstmal auf eine Warteliste gesetzt wird. Die Wartezeiten können Monate oder auch Jahre betragen. Für Familien ist daher wichtig, das Thema Pflege schon frühzeitig und mit Voraussicht zu besprechen. Selbst wenn die Pflegebedürftigkeit noch keinen Umzug in ein Pflegeheim erfordert, kann man sich trotzdem schon einen Platz reservieren – und muss ihn dann nicht mal nutzen, wenn man an der Reihe wäre. Stattdessen kann man sich zurückstellen lassen.

Weitergehende Informationen

… gibt es in unserer lausebande-Reihe „Eltern pflegen Eltern“ auf unserer Webseite im Bereich Ratgeber.

Teil 1: Erste Schritte, Pflegegrad & Formen der Versorgung

Teil 2: Finanzierung der Pflege, Vorsorge & Beratungsstellen

Spannender Einblick in den Pflegenotstand via YouTube