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Interview :: Seite 41

wahren, alles wäre normal. Man versucht, das Pro-

blem in der Familie nach außen zu verbergen. Des-

halb ist das Eingreifen für Jugendämter, aber auch

für die Nachbarn, immer wieder so schwierig. Ich

kann nur empfehlen, sich bei einem Verdacht ganz

neutral an den Kinderschutzbund zu wenden.

Ist Gewalt in Familien ein Phänomen quer durch alle

sozialen Schichten?

Das Problem zieht sich durch alle Schichten. Auch

ich komme aus dem gehobenen Mittelstand und

nicht aus einer sozial benachteiligten Familie. Diese

Gewalttätigkeit gibt es nicht nur in – ich sage es mal

ganz einfach – Hartz-IV-Familien, wo Alkohol und

Tristesse eine große Rolle spielen. Es geht eben quer

durch alle Schichten, nur den gehobenen Familien

traut man sowas meist nicht zu.

Auf welche Facetten der Gewalt sind Sie gestoßen

und welchen widmet sich Ihr Buch?

Neben körperlicher spielt auch psychische Gewalt

eine große Rolle. Als ich 16 Jahre war und mein Va-

ter gemerkt hat, dass ich mich wehren kann, übte er

verstärkt psychische Gewalt aus. Er verwehrte mir

Schulbücher oder den Schulbus. Wenn ich nicht

nach seiner Pfeife tanzte, dann riskierte ich die eige-

ne Zukunft. So musste ich meinen Unterhalt gericht-

lich durchsetzen, damit ich wieder in die Schule ge-

hen konnte. Es ist in dieser Lebensphase besonders

schlimm, wenn man so um seine Zukunft beängstigt

sein muss.

Warum geht dieses Thema Ihres Erachtens alle an,

also auch Nachbarn, Pädagogen, Ärzte?

Ich denke, dass Kinder mit Blick auf den demografi-

schen Wandel die Zukunft unseres Landes sind. Je-

des Kind ist Gold wert. Dass die Kinder unseren Sozi-

alstaat aufrechterhalten und später für meine Rente

sorgen, sollte mich schon dazu motivieren, dass es

ihnen gut geht und dass sie eine gute Bildung be-

kommen. Wenn man als Erwachsener Fälle familiä-

rer Gewalt in der Bekanntschaft toleriert, dann muss

man sich auch bewusst sein, dass einen das zum

Mittäter macht!

Mit Blick auf TV-Formate wie „Die strengsten Eltern

der Welt“ möchte mancher meinen, es braucht in

Deutschland deutlich mehr Strenge bei der Erzie-

hung der Kids, wie sehen Sie das?

entstand in Zusammenarbeit mit dem Kinderschutz-

bund, um Menschen in ähnlichen Situationen, also

Kindern und auch Frauen, eine Hilfestellung zu ge-

ben. Genau das unterscheidet es deutlich von den

bisher erschienenen Büchern.

Früher war die Erziehung mit dem Rohrstock nor-

mal, heutzutage halten viele Gewalt gegenüber

Kindern für ein Randproblem – und sie sagen, es

nimmt zu?

Ich hielt das zunächst auch für eine Randerschei-

nung. Aber die Recherche zeichnete schnell ein an-

deres Bild. Es gibt eine Studie von Prof. Bussmann,

die 2,5 Millionen von familiärer Gewalt betroffene

Kinder in Deutschland ausweist. Die Jugendämter

nehmen jährlich 45.000 Kinder aus diesem Grund in

Obhut, mit steigender Tendenz! Die Statistiken der

Landes- und Bundeskriminalämter sprechen ebenso

dafür, dass die Fälle eher zunehmen.

Man sagt landläufig, ein Klapps auf den Hinterkopf

kann nie schaden – kann er das doch?

Ich denke, dass es eine Schwäche eines Erwachse-

nen ist, wenn Gewalt als Mittel der Erziehung ein-

gesetzt wird. Man verliert auch an Ansehen bei sei-

nen Kindern. Das Vertrauen der Kinder in die Eltern

sinkt, und wenn man kein Vertrauen in die eigenen

Eltern hat, verliert man auch schnell das Vertrauen

in die restliche Erwachsenenwelt. Das ist letztlich

die Gefahr und das muss jedem bewusst sein. Es

geht nicht darum, dass in einer Situation der Über-

forderung einmal die Hand ausrutschen kann. Das

kann man als Fehler einsehen und im besten Fall

mit den Kindern besprechen und klären. Hier geht

es vielmehr um massive Gewalt gegenüber Kindern.

Wir sprechen mittlerweile von 500 Kindern im Jahr,

die durch familiäre Gewalt ums Leben kommen.

Sie schreiben auch, dass jedes fünfte Kind heute in

Deutschland mit Gewalt in der Familie konfrontiert

wird – warum scheint das in Deutschland dennoch

ein Tabuthema zu sein?

Das Thema ist ungemein mit Scham verbunden und

man spricht in der Öffentlichkeit nicht darüber. Ich

kenne das noch aus meiner eigenen Familie: Man

wünscht sich als Kind immer eine heile Welt und ein

heiles Familienleben. Es hat mich damals viel Kraft

gekostet, nach einer Nacht, in der ich verprügelt

wurde, in die Schule zu gehen und den Anschein zu

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