Interview :: Seite 40
handelt selbst erlebte Gewalttaten meiner Kindheit.
Die Initialzündung lieferte eine Erfahrung in Berlin.
Ich bin durch die Stadt gegangen und habe durch
Zufall die Schreie eines Kindes wahrgenommen, das
von seinem Vater geschlagen worden ist. Ich bin so-
fort hingelaufen und habe dem Kind geholfen. Als
das erledigt war, musste ich mich erst einmal auf
eine Bank setzen. Mich übermannten Kindheitser-
innerungen, die ich seit langer Zeit verdrängt hatte.
Ich sagte zu mir selbst: Schau mal, wie ist das heute
überhaupt? Meine Erfahrungen liegen ja 30 Jahre
zurück. Bei einer Recherche hab ich dann festge-
stellt, dass es heute sogar ein noch größeres Thema
ist. Das hat bei mir ungemeines Interesse geweckt,
meine eigene Geschichte zu erzählen, um anderen
Kindern und Familien zu helfen.
Es gibt bereits vereinzelt Literatur zu diesem Thema,
wodurch unterscheidet sich Ihr Buch?
Dieses Buch ist geprägt durch Selbsterfahrungen. Es
Hätten Sie gedacht, dass in Deutschland
2,5 Millionen Kinder unter familiärer Ge-
walt leiden und sogar 500 Kinder pro Jahr
daran sterben? Das Thema Gewalt in Familien bzw.
gegenüber Kindern ist in unserer Gesellschaft auch
heute noch weitgehend tabuisiert. Der investigative
Journalist Markus Breitscheidel hat nun ein Buch
darüber geschrieben. Es verarbeitet seine eigenen
Kindheitserinnerungen und hilft zugleich allen Au-
ßenstehenden, Muster und Anzeichen für Gewalt in
Familien zu erkennen und Kindern zu helfen. Das
Buch wurde auch vom Deutschen Kinderschutzbund
begleitet, der am 30. April den „Tag der gewaltfreien
Erziehung“ begeht. Gründe genug für ein Gespräch
mit Markus Breitscheidel:
Sie haben bereits zu anderen Themen aufrüttelnde
Bücher geschrieben, warum diesmal ausgerechnet
zur Gewalt in Familien?
Weil es meine eigene Geschichte ist. Das Buch be-
Interview:
Jens Taschenberger (zwei helden)
Nicht auf den Kopf
Warum Gewalt in Familien alle etwas angeht!
Nicht auf den Kopf
erschienen am 26. Februar
im Ullstein-Verlag,
208 Seiten, 19,99 Euro
Inhalt: 2,5 Millionen
Kinder
werden
in
Deutschland regelmäßig Opfer
physischer oder psychischer
Gewalt. Die Jugendämter neh-
men jährlich 45.000 Kinder
aufgrund von Misshandlun-
gen in der Familie in Obhut – Tendenz steigend.
Autor Markus Breitscheidel wurde in seiner Kindheit
und Jugend selbst Opfer von massiver Gewalt in der
Familie. Mit diesem Buch liefert er einen emotional
packenden Blick in den Alltag eines Kindes, das mit
der allgegenwärtigen Angst aufwächst, geschlagen
und gedemütigt zu werden. Und er beschreibt, wie
Infos zum Buch und zum Autor
Nachbarn, Lehrer, Ärzte, aber auch seine Großeltern
jahrelang über die Gewaltexzesse seines Vaters hin-
wegsahen.
Der Autor
Markus Breitscheidel,
Jahrgang 1968, ist investiga-
tiver Journalist und Autor.
Sein Buch Abgezockt und
totgepflegt, ein Undercover-
Bericht über die Zustände in
deutschen Pflegeheimen, wur-
de zum Bestseller und löste
eine breite gesellschaftliche
Diskussion aus. Mit seinem
neuen, sehr persönlichen Buch stößt er nun eine
längst überfällige gesellschaftliche Debatte über das
Tabuthema Gewalt in der Familie an.
Foto:© J.Rammonat