Titelthema :: Seite 33
nur für Deutschland, auch in anderen europäi-
schen Staaten, in Nordamerika, Asien und Nord-
afrika ist die Kinderzahl in den letzten 100 Jahren
auffallend zurückgegangen.
Während also die Entwicklung weltweit ähnlich
verläuft, so ist doch der Begriff „kinderreich“ eine
deutsche Besonderheit. Während man in England
von „large families“ und in Frankreich von „fa-
milles nombreuses“ spricht, also von Groß- bzw.
Mehrkindfamilien, hat sich in Deutschland bis
heute der Begriff „Kinderreichtum“ gehalten. In
den Jahrhunderten vor 1900 galten viele Kinder
tatsächlich als wirtschaftlicher Reichtum – Kinder
trugen zum Familieneinkommen bei und waren
eine Art Altersvorsorge. Seit Kinderarbeit verboten
ist, eine staatliche Rente auch Kinderlose absichert
und Eltern durch Verhütung ihre Familie planen
können, ist Kinderreichtum aus der Mode. Viele
Kinder gelten als Armutsrisiko. Tatsächlich fin-
den sich unter den Mehrkindfamilien überdurch-
schnittlich viele Hartz-IV-Empfänger, aber auch
auffallend viele Wohlhabende. Großfamilien sind
ebenso verschieden wie Kinder selbst. Die typi-
sche kinderreiche Familie gibt es nicht. Zumindest
zeigen die Statistiken bestimmte Tendenzen auf:
Menschen, die sich für das Familienmodell „2plus“
entscheiden, haben häufiger als der Durchschnitt
einen Migrationshintergrund, sind eher religiös
gebunden, leben eher in den westdeutschen Bun-
desländern und zählen überdurchschnittlich oft
zu den Besserverdienenden oder aber zur Unter-
schicht. Der Familienforscher Bernd Eggen macht
drei Typen kinderreicher Familien aus:
• Familien mit überdurchschnittlicher Bildung
und Verdienst. Sie kommen häufig selbst aus
kinderreichen Familien, sind eher religiös und
leben eher auf dem Land
• Familien in prekärer wirtschaftlicher Situation,
bei denen beide Eltern keinen Schulabschluss
haben, nicht arbeiten und die stark vom Staat
unterstützt werden.
• Familien mit Migrationshintergrund und starker
Verbundenheit zu Heimat und Glaube.
In einigen Wochen erwarten mein Mann
und ich unser drittes Kind. Anders als bei
den ersten beiden Kindern, wurden wir
dieses Mal – kaum dass der Bauch sichtbar wur-
de – oft gefragt: „War das geplant?“ Ja! Mit dem
dritten Kind hat kaum einer gerechnet. Wer sich
für mehr als zwei Kinder entscheidet, wird zum
Exoten, fällt aus dem Rahmen. Das klassische Bild
von der Zwei-Kind-Familie ist in Deutschland sehr
verbreitet. Kein Wunder, wie die Zahlen belegen:
Nur zwölf Prozent aller Familien haben drei oder
mehr Kinder und gehören damit zu einer Minder-
heit. Das war nicht immer so. Vor etwa 100 Jahren
war es normal, drei, vier oder fünf Kinder zu ha-
ben. Im Laufe des 20. Jahrhunderts sank die durch-
schnittliche Kinderzahl. Die Frauenbewegung und
die Pille hatten daran einen nicht unerheblichen
Anteil. Frauen konnten und wollten zunehmend
selbst entscheiden, ob und wie viele Kinder sie ha-
ben. Zudem bekommen Frauen heute immer später
ihr erstes Kind. Wer mit 30 zum ersten Mal Mutter
wird, dem fehlt meist einfach die Zeit, noch drei
weitere Kinder in die Welt zu setzen. Das gilt nicht
Redaktion:
Anett Linke
»
8 auf einen Streich!
Vom bunten Leben in kinderreichen Familien.