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Titelthema :: Seite 40

Gehirne sich noch durch die Ausei-

nandersetzung mit der Welt entwi-

ckeln müssen. Nehmen wir als Bei-

spiel den Taschenrechner: Wer in

der siebten Klasse einen bekommt,

der gewöhnt sich das Kopfrechnen

ab und kann es irgendwann nicht

mehr so gut. Nicht anders steht es

mit anderen geistigen Leistungen.

2012 haben Sie mit Ihrem Buch „Di-

gitale Demenz“ für viel Diskussion

gesorgt. Wie kann man dem als Mit-

glied einer Mediengesellschaft vor-

beugen?

Auch hier habe ich argu-

mentiert, dass digitale Medien die

geistige Entwicklung in den ers-

ten zwei Lebensjahrzehnten dra-

matisch beeinträchtigen. Dies ist

in Studien nachgewiesen. Wenn

man nun ein weniger entwickel-

tes Gehirn hat, das dann durch ir-

gendwelche

Krankheitsprozes-

se an Leistungsfähigkeit verliert,

wird man dies eher merken als mit

einem gut durchtrainierten Gehirn:

Demenz heißt ja letztlich nichts an-

deres als „geistiger Abstieg“. Für je-

den Abstieg gilt: Je höher man an-

fängt, desto länger dauert es, bis

man unten ist.

Unsere Regierung hat gerade den

„Pakt für digitale Bildung“ ausge-

rufen. In immer mehr Schulen sol-

len elektronische Medien im Un-

terricht zum Lernen eingesetzt

werden. Geht es nicht darum, die

Kinder den richtigen Umgang mit

Interview mit Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Hirnforscher, Psychiater,

Psychologe und Hochschullehrer; Vater von sechs Kindern

„Medien machen süchtig ...

Wir brauchen sie nicht an den Schulen.“

Herr Prof. Spitzer, Sie sind

Gehirnforscher. Steuern

wir unser Gehirn oder

steuert es uns?

Im Grunde ist die

Verbindung noch inniger: Wir ha-

ben nicht ein Gehirn, das uns steu-

ert, wir sind letztlich unser Gehirn!

Man erkennt dies sehr einfach im

Falle von Organtransplantationen:

Herz oder Niere kann man trans-

plantiert bekommen, ein Gehirn –

selbst wenn dies technisch möglich

wäre – nicht. Wer das Gehirn eines

Spenders transplantiert bekom-

men würde, würde aufwachen, in

den Spiegel schauen und sich wun-

dern, dass er so aussieht wie der

Empfänger. Es wäre aber letztlich

der Spender, der übrig bleibt und

gerade nicht der Empfänger. Inso-

fern sind wir unser Gehirn und ha-

ben nicht einfach eines.

Eine Ihrer Thesen ist, dass unser

Gehirn lebenslang lernt und dass

sich gesellschaftliche Veränderun-

gen auf unsere geistige Entwick-

lung auswirken. Welches kultu-

relle Phänomen der vergangenen

zehn Jahre hat denn unsere Hirn-

Software am stärksten beeinflusst?

Das ist schwer zu sagen. Alles was

wir geistig tun, sämtliche Gedan-

ken, Erlebnisse, Wahrnehmungen

und Wünsche bleiben in unserem

Gehirn hängen, ganz einfach des-

wegen, weil das Gehirn sich mit sei-

nem Gebrauch jeweils ändert. Da-

mit ist natürlich auch klar: Wenn

Jugendliche hierzulande 7,5 Stun-

den täglich vor Bildschirmen zu-

bringen (das sind Daten aus einer

großen Untersuchung in Deutsch-

land), so kann dies eines nicht ha-

ben: keine Auswirkungen!

Und welche wären das?

Viele junge

Menschen benutzen elektronische

Medien vor allem für ihre Freizeit-

gestaltung. Wer sozial viel über den

Bildschirm kommuniziert und nicht

mit realen Menschen, dessen Fähig-

keit zur Empathie für andere wird

nachlassen. Wer digital viel Aggres-

sion auslebt, der wird aggressiver.

Beides ist in großen Studien nach-

gewiesen. Wer lieber immer schnell

online nachschaut beziehungswei-

se andere Leute fragt, wird sich das

eigenständige Denken und Handeln

abgewöhnen. Auch das ist mittler-

weile nachgewiesen. Die Liste ließe

sich beliebig fortsetzen.

Viele Erwachsene sind täglich on-

line und auf Facebook unterwegs,

arbeiten mit Computer, Internet

und Smartphone. Müssen wir uns

alle sorgen um unser Gehirn ma-

chen?

Computer und digitale In-

formationstechnik insgesamt sind

Werkzeuge, die uns geistige Ar-

beit abnehmen. Wer geistig arbei-

tet, kann daher insgesamt produkti-

ver sein, wenn er die neuen Medien

nutzt. Genau deswegen arbeiten ja

viele Menschen damit. Ein Problem

gibt es allerdings dann, wenn junge