Titelthema :: Seite 41
Medien zu lehren statt sie davon
fernzuhalten?
Große Studien aus
Deutschland und dem Ausland
haben nachgewiesen, dass digita-
le Medien das Lernen an Schulen
nicht verbessern. Nicht einmal der
Umgang mit dem Computer wird
in Laptop-Klassen besser gelernt
als in Klassen ohne Laptop. Ich bin
dagegen, dass wir öffentliche Mit-
tel an Schulen für Maßnahmen
verschwenden, von denen nachge-
wiesen ist, dass sie keine positiven
Auswirkungen auf das Lernen ha-
ben. Das gilt vor allem dann, wenn
immer noch Unterricht wegen feh-
lender Lehrer ausfällt!
Noch ein Gedanke zum „Fernhal-
ten“: Man hat früher einmal ver-
sucht, den Kindern im Unterricht
beizubringen, sich von Drogen
fernzuhalten. Hierzu gab es ei-
nen „Drogenkoffer“, um die Dinge
ganz praktisch ansprechen zu kön-
nen. Der Unterricht damit hat die
Neugierde der Jugendlichen nur
stark geweckt und den Drogenkon-
sum nicht vermindert, sondern ver-
stärkt! Entsprechendes gilt für digi-
tale Medien: Diese machen süchtig
und beeinträchtigen die Gehirnent-
wicklung. Sie schaden aus diesen
Gründen den sich entwickelnden
Kindern. Wir brauchen sie nicht an
den Schulen. Ich weiß, dass diese
Auffassung unmodern klingt, sie ist
jedoch die einzige, die sich durch
Daten erhärten lässt. Alles andere
ist Werbung für eine Industrie, die
jetzt schon zu den reichsten gehört,
die wir haben und die noch reicher
werden will – auf Kosten der Gehir-
ne der nächsten Generation!
Kritiker werfen Ihnen vor, ein Kul-
turpessimist zu sein, der den Fort-
schritt ausbremsen will, obwohl
sich seine Thesen wissenschaftlich
kaum belegen lassen. Was entgeg-
nen Sie darauf?
Ich entgegne mei-
nen Kritikern, dass sie es sind, de-
ren Thesen sich wissenschaftlich
nicht beweisen lassen. Immer wie-
der zeigt sich, dass meine Kritiker
vor allem persönliche Angriffe ge-
gen mich vornehmen und sich gera-
de nicht auf Wissenschaft beziehen.
Sie führen Studien an, die zeigen,
dass die Verwendung von Such-
maschinen wie Google dazu führt,
dass wir weniger lernen, weil wir
uns nicht mehr bemühen, Wissen
richtig abzuspeichern. Ist das denn
einWesenszug des Menschen, dass
er faul ist und immer den leichtes-
ten Weg sucht?
Es gehört sicher
zum Wesen des Menschen, dass
er so effektiv wie möglich arbeitet.
Das trifft auch für das Gehirn zu.
Wenn ich etwas google, dann weiß
man Gehirn „das kann ich ja goog-
len“ und speichert es mit geringerer
Wahrscheinlichkeit ab. Ganz allge-
mein gilt, dass es sich mit unserem
Geist ähnlich verhält wie mit unse-
rem Körper: Einerseits versuchen
wir alles so effizient wie möglich zu
erledigen. Andererseits wissen wir
aber auch, dass, wenn unser Kör-
per nicht genug leistet, er langsam
kaputt geht. Genau deswegen ge-
hen wir ins Fitness-Studio, joggen
oder versuchen uns anderweitig fit
zu halten. Mit unserem Geist ist es
nicht anders: Wer immer den Weg
des geringsten Widerstands geht,
dessen Gehirn wird langfristig we-
niger leistungsfähig.
Was ist zu tun?
Zunächst einmal
muss man das Problem ernst neh-
men. Aufklärung, das heißt ech-
te Erweiterung des Wissens, war
schon immer ein wichtiger Anfang
für jegliche Veränderung. In die-
sem Sinne möchte ich Aufklärung
leisten und den Menschen klar ma-
chen, was gut für ihr Gehirn und
vor allem das Gehirn ihrer Kinder
ist, und was nicht. Denn was gut
für unser Gehirn ist, ist auch gut
für uns. Insofern geht es letztlich
in meinem Vortrag darum, was je-
der für sich ändern kann, um ein
glücklicheres und gesünderes Le-
ben zu führen.
Herr Prof. Dr. Dr. Manfred
Spitzer studierte in Freiburg
Medizin, Psychologie und Philo-
sophie. Nach seiner Promotion in
Medizin und Philosophie und sei-
ner Habilitation für das Fach Psy-
chiatrie war er als Oberarzt an der
psychiatrischen Universitätsklinik
Heidelberg tätig.
Drei Forschungsaufenthalte in den
USA an der Harvard University und
der University of Oregon präg-
ten das weitere wissenschaftliche
Werk von Manfred Spitzer an der
Schnittstelle von Neurobiologie,
Psychologie und Psychiatrie. Seit
1997 ist Manfred Spitzer Ärztlicher
Direktor der Psychiatrischen Uni-
versitätsklinik in Ulm. 2004 grün-
dete er das Transferzentrum für
Neurowissenschaften und Lernen
(ZNL), das im Bildungsbereich so-
wohl Grundlagenforschung be-
treibt als auch Bildungseinrich-
tungen evaluiert und sie bei der
Weiterentwicklung ihrer pädago-
gischen Arbeit begleitet. Manfred
Spitzer ist Autor zahlreicher Best-
seller.
Vita Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer